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Writer's pictureChristof Zurschmitten

Den Verzerrer am Anschlag: Zum Kino von Shinji Aoyama und Bong Joon-ho

Updated: Feb 16, 2021


ESSAY zum Kino Shinji Aoyamas und Bong Joon-hos. Mit einem eleganten Coup gelang es dem NIFFF 2009, gleich zwei Ehrengäste vorzuladen. Offizieller Titelträger war Shinji Aoyama, der sich am Festival des fantastischen und Genre-Films endlich einmal verstanden fühlte. Mit mindestens ebenso grossen Ehren bedacht wurde aber Jury-Präsident Bong Joon-ho, dem zwar keine Retrospektive, aber immerhin eine Carte Blanche geschenkt wurde – eine Karte, die er auch Aoyama zuzuspielen wusste. Grosse Ähnlichkeit haben die beiden nicht. Aoyama, der vom dandyesken Erscheinungsbild seiner frühen Tage maximalmögliche Distanz genommen hat, nun im Hawaiihemd den Touristen gab, der sich ständig im Schatten seiner Schirmmütze zu ducken schien. Der Teil seiner Ansprachen, die er an der ungelenken Übersetzerin vorbei ins Publikum lotsen konnte, zeugte von einem knochentrockenen Witz, der längst nicht immer zündete. Aoyama wirkte nicht selten ausgesprochen passiv, als er mit bewundernswerter Geduld die immer selben Fragen beantwortete, etwa die zu seiner Assistenzzeit unter dem Schweizer Daniel Schmid, diejenige nach dem dunklen Japan-Bild in seinen Filmen oder nach der „Lage der Nation“. Aoyama liess sich zu gewundenen Antworten drängen; richtig gesprächig wurde er jedoch erst, wenn es um seine eigenen Filme ging, um Technik, Inszenierung, Produktionsprozesse. Der Regisseur nicht als Star, sondern als Handwerker, wenn’s hoch kommt auch als Künstler, kaum jedoch als Stimme, die ausserhalb seiner Filme zu vernehmen sein sollte. Aoyama, der im Westen immer noch einzig bekannt ist für sein Roadmovie „Eureka“ (2000), in dem die traumatisierten Überlebenden eines Amoklaufs versuchen, zu einem Leben zurückzufinden. Mehr als drei Stunden lang, in denen nicht viel gesprochen wird, nicht viel passiert, die aber in ihrer sepiafarbenen Opulenz lange nachhallen. „Eureka“ ist und war ein Triumph, für den Aoyama vor gut zehn Jahren in Cannes den Kritiker-Preis entgegennehmen konnte. Und ein Unglück, wie er in Neuchâtel einmal mehr versicherte, zementierte es doch das Bild vom Arthouse-Mann Aoyama, das vom Westen aus nach Japan übergriff und ihm die Arbeitsgrundlagen streitig machte. Denn – und das scheint angesichts seines Oeuvres einigermassen erstaunlich – er will sich selbst als Genre-Filmer verstanden wissen, vom Publikum ebenso wie von den japanischen Studios.

 

Auf der anderen Seite Bong Joon-ho, der sich um derartige Unterscheidungen nicht zu kümmern braucht. Sein immer noch schmales Werk ist nicht dem Genre-Kino verpflichtet – dem Copthriller in „Memories of Murder“ (2003), dem Monsterfilm in „The Host“(2006) -, es ist Genre-Kino und als solches weder von transzendenter noch dekonstruktivistischer Natur. Es gibt nichts zu überwinden oder kaputt zu machen, allenfalls etwas anzureichern und zu veredeln, bis die Croisette ruft. Bong wird nicht unter Arthouse-Verdacht gestellt, seine Filme sind komplex und vielschichtig, aber stets – man ist versucht zu sagen: verblüffend – zugänglich. Und Bong versteht es, sich auch als Person offen zu geben: In Neuchâtel präsentierte er sich selbst meist gut gelaunt und die von ihm ausgewählten Filme mit Elan und Esprit, bevor er sich für die Vorführung selbst ins Publikum setzte (sein Kriterium: er wählte Filme, die er selbst schon immer mal auf Grossleinwand sehen wollte), er beantworte Fragen zu allen denkbaren und undenkbaren Themen eloquent und gab zu Protokoll, die Schweiz in ihrer alles beherrschenden Ruhe äusserst beunruhigend zu finden. Seine Carte Blanche war nicht nur aufgrund der ansteckenden Begeisterung ihres Kurators ein Höhepunkt, sondern auch aufgrund der absolut wasserdichten Auswahl: John Carpenters „The Thing“ (1982), an dem Bong vor allem die Kunstfertigkeit schätzt, mit der der Horror (trotz und dank Über-Alien) in die zwischenmenschlichen Beziehungen eindringt. Oder „The Housemaid“ (1960) von Kim Ki-young, einem frühen Helden des koreanischen Genre-Kinos, in dem ein Hausmädchen einen Familienvater verführt und fortan die Vorzeigefamilie von innen heraus zu zersetzen beginnt. Trotz Schauspielern, die für heutige Sehgewohnheiten arg expressiv aufspielen, ist „The Housemaid“ ein faszinierender Film – nicht zuletzt dank seiner klaustrophobischen Atmosphäre, in der weniger die materiellen Wände zur Gefängnismauer werden als der Zwang, sein Gesicht nach aussen zu wahren. Im Kunstgriff, nicht nur den Genre-Film zum Abbild der Gesellschaft zu machen, sondern umgekehrt die Gesellschaftskritik auch zum Rückgrat des Genre-Films, stand „The Housemaid“ unverkennbar Bongs eigenem Kino Pate. (Der gesamte Film ist dankenswerter Weise kostenlos zugänglich bei den Auteurs.)

Und dann war da noch Kiyoshi Kurosowas „Kairo“ (2001) (aka „Pulse“), der die Reihe logisch weiterführte: Ein Horrorfilm als Raum verdichteter Atmosphäre, von Melancholie geprägt statt von Schrecken. Ein Lehrstück in Sachen Auslassung und Andeutung. Okkulte Gestalten, die zuallererst tragisch sind und erst dann tödlich. Vor allem aber einmal mehr: Horror, der weder vom Tod noch den Toten ausgeht, sondern von den Beziehungen zwischen den Lebenden – respektive, und das macht die zermürbende Stärke von Kurosowas Film aus – dem schmerzhaften Zerfallen und Ausbleiben derselben. Schliesslich ist „Kairo“ auch der missing link zum Kino und zur Person Shinji Aoyamas, den mit Kiyoshi Kurosowa eine persönliche Freundschaft verbindet: Sie geht zurück bis in die späten 80er, als Kurosowa als Gastredner vor dem Studenten Aoyama sprach; eine Stelle als Regieassistent in Kurosowas „The Guard from Underground“ (1992) bedeutete wenig später für Aoyama den Einstieg ins Filmgeschäft. Der Einfluss des Mentors tritt denn auch immer wieder offen zutage: Etwa in Form gelegentlicher paralleler Themenwahl, wie im Falle von Kurosowas enigmatischer Fabel „Charisma“ (1999), die in Aoyamas Beitrag zur Serie um den japanischen hard boiled-Punkdetektiv Mike Yokohama („A Forest Without A Name“, 2002) anklingt. Oder auch im Lemming-Syndrom, das im opaken Sci-Fi-Film „Eri, Eri, lema sabachtani“ (2005) ganze Bevölkerungsschichten aus unerklärlichen Gründen in den Selbstmord treibt und wie ein Echo der Apokalypse aus „Kairo“ wirkt. Wer Aoyamas Filme gesehen hat, weiss jedoch auch, dass er mitnichten ein einfacher Epigone des japanischen Horror-Meisters ist. Im Gegenteil: sein Werk ist äusserst eigenständig und -willig, teilweise bis zur kompletten Verschleierung. Paradoxerweise ist es aber gerade diese Eigenwilligkeit, die Aoyamas Oeuvre durchaus repräsentativ für Tendenzen des zeitgenössischen japanischen Kinos macht – und zugleich sein Selbstverständnis als Regisseur nachvollziehbar. Denn natürlich ist es nicht blosse Koketterie, wenn Ayoama seine Filme – mit Ausnahme von „Eureka“ – nicht dem Arthouse-Kino zuordnen möchte. In der umfangreichen Retrospektive am NIFFF liefen frühe Filme wie „Two Punks“ (1996) oder „Embalming“ (1999), ein Yakuza-Flick und ein ziemlich blutiger Horror-Streifen respektive, die sich von der gleich gearteten Masse allenfalls qualitativ, kaum jedoch konzeptuell abheben. Mit anderen Worten: Aoyama startete seine Karriere als tief im Genre-Kino verwurzelter Auftragsfilmer und zehrt bis heute vom selben Nährboden. So lässt sich die Handlung vieler seiner Filme unschwer auf einige simple, wenig originelle Ideen herunter brechen: ein Detektiv stösst auf der Suche nach der Tochter eines reichen Mannes auf eine Sekte im Wald („A Forest With No Name“); ein seltsames Phänomen hat in naher Zukunft die Menschheit beinahe ausgerottet, während die Verbliebenen nach Heilung suchen („Eri, Eri“); eine Frau gerät in der Provinz in eine verborgene Kultstätte, woraufhin seltsame Phänomene ihr Leben heimsuchen („Crickets“, 2006); oder der Cop, der sich auf die Suche nach seiner entwendeten Dienstwaffe macht, mit der eine Serie systematischer, aber scheinbar unmotivierter Morde verübt wird („An Obsession“, 1998). Es ist dieser Handlungskern, der Grundlage jedes Films respektive Regieauftrags ist und der in seiner Essenz letztlich auch unangetastet bleibt – doch darum herum verfremdet und verstört Aoyama so ziemlich alles, bis zur Verständnislosigkeit, oder eben – bis zum Arthouse-Verdacht. Aoyamas Werk wird damit zum Kronzeugen für das Changieren zwischen Strenge in der generischen Grundanlage und der individuellen Freiheit bei der Ausgestaltung, zwischen Zugänglichkeit über direkte Genre-Pfade und Abwegen, die nicht selten zu Abgründen führen, wie es auch die Filme so unterschiedlicher Regisseure wie Hideo Nakato, Takashi Miike, Takahisa Zeze oder auch Kiyoshi Kurosowa kennzeichnet.

 

Von all diesen treibt Shinji Aoyama das Spiel mit der Verzerrung vielleicht am Weitesten. In „Eri, Eri, lema sabachtani“ ist das ganz wörtlich zu nehmen: zur Kur gegen die latente Todessehnsucht werden hier die Klangexperimente zweier Lumpen- und Geräuschesammler (Tadanobu Asano und Masaya Nakahara, seines Zeichens professioneller Klangexperimentalist), die „Musik“ zu nennen nur aufgeklärten Genossen leicht fallen dürfte. Selbige dürften aber ohnehin das Zielpublikum sein, denn Aoyamas Sci-Fi-Film ist eine Herausforderung. Er macht keinerlei Anstalten, das bisschen Plot, das ihm bleibt, voranzubringen, schert sich nicht weiter um seine Figuren oder ihre Hintergründe, bekundet Mühe, sich auf ihre Dialoge zu konzentrieren – „als würde seine Kamera nur zufällig in irgendeine Richtung in einer Filmwelt zeigen, die sich grenzenlos anfühlt“, hat Nicholas Rucka dies einmal umschrieben. Stattdessen verweilt dieselbe Kamera in langen, langsamen Einstellungen, deren Anordnung und Gewichtung genau so assoziativ und logik-fern wirken wie die Musik in ihrem Zentrum. In den Einzelszenen ist dies zuweilen schlicht grossartig – wie etwa dieser Auftakt, der gar nichts weiter sein will als Bild und Klang, kommentarlos. In der Masse hingegen wird das alles zunehmend zäh – wenn auch auf eine, und das ist durchaus als Kompliment gemeint, zutiefst einlullende Art und Weise.

„Eri, Eri, lema sabachtani“ ist insofern die Zuspitzung einer Formsprache, die sich deutlich ausgeprägt erstmals bei „An Obsession“ findet (und die auch „Eureka“ prägt, der nur in seinen Ambitionen und der Themenwahl wirklich eine Ausnahme in Aoyamas Oeuvre bildet). Bereits hier finden sich die langsamen Kamerafahrten, die langen Einstellungen und die Weigerung, kausale oder psychologische Erklärungen auszubuchstabieren oder gar Spannungsbögen sorgfältigst auf- und wieder abzubauen (notabene in einem Film, der sich als Thriller gibt). Stattdessen dieser Rhythmus, in dem alle Protagonisten immer ein wenig betäubt und zögerlich wirken, als wäre für sie jeder nächster Schritt ebenso unvorhersehbar wie für den Zuschauer. In den Nachfolgewerken geht dies so weit, dass selbst der Schluss vollends unberechenbar wird. Bereits „Eureka“ hat mindestens drei Szenen, die sich als finale Einstellung anbieten, wenn nicht sogar aufdrängen und von 90% der restlichen Regieriege auch dankbar als solche wären angenommen worden. „Eri, Eri“ verliert sich nach seinem klaren Höhepunkt noch eine ganze Weile weiter in seiner fliessenden Existenz. Und „Crickets“, der bis dahin bei allen Geheimnissen doch einer der merkwürdig schlüssigsten Filme Aoyamas ist, wird in seinen nicht abreissenden (da auch nicht abgrenzbaren) Schlussminuten vollends verworren. Nicht selten wird die Unmöglichkeit, diesen Entscheidungen weder rational noch emotional folgen zu können, zur Geduldsprobe – gelegentlich auch schlichtweg zum Quell der Frustration. Derartige Momente finden sich – mit Ausnahme vielleicht von „Eureka“ – im gesamten Oeuvre Aoyamas; die Qualität seiner Filme misst sich nicht an ihrem Ausbleiben, sondern an ihrer Funktionalität, Dauer und Intensität. Und an der Dauer und Intensität der Augenblicke, in denen in den wie beliebig auch immer wirkenden Momentaufnahmen die fiktive und reale Welt dahinter erkennbar wird – und spürbar. Shinji Aoyamas Filme sieht man insofern nicht, man erfährt sie. Nicht immer ist die Erfahrung angenehm. Doch fast immer wert, gemacht zu werden.

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