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Writer's pictureChristof Zurschmitten

Man muss sich Sisyphus als autofahrenden Menschen vorstellen: Monte Hellmans "Two-Lane Blacktop"

Updated: Feb 16, 2021


KRITIK von Monte Hellmans „Two-Lane Blacktop“. Was waren noch einmal die Zutaten eines zünftigen Road Movies? Eine bolztaugliche Strasse? Check! Aussenseiter gegen den Rest der Welt? Check! Grölende Tunes, dröhnende und brummende Motoren? Doppel- und Dreifach-Check!!! Und dennoch ist „Two-Lane Blacktop“ anders. Und zwar ganz schön. Da wird nicht gezaudert noch gezögert: In den ersten fünf Minuten hören wir genau einen Satz an Dialog, aber um die fünfzig verschiedene Tonlagen vibrierender Motoren. Mindestens. Wir befinden uns inmitten eines Rennens. Der Sport heisst Dragster-Race, die Distanz ist eine Viertelmeile, und unser Protagonist, das immerhin ist klar, ist ein frisierter 55er Chevy. In ihm befindet sich ein Mann, der unbeschrieben genug ist, um für die Länge des Films nicht über die Bezeichnung „The Driver“ hinauszukommen. Gespielt wird er von James Taylor, einem Sänger auf seinem einzigen Trip ins Schauspielfach; er bleibt wortkarg, aber sieht dabei immerhin so abgefuckt-cool aus, wie es sich jeder Grunger knapp zwanzig Jahre später, in den frühern 90ern also, nur wird erträumen können. Das Rennen geht los, die Motoren heulen, und am anderen Ende der Strecke wartet schon die Polizei. Der 55er Chevy wendet, um seinen Sieg geprellt, auf offener Strasse, schnappt unterwegs einen weiteren Mann auf, der einfach nur „The Mechanic“ heisst (Denis Wilson, seines Zeichens Drummer der Beach Boys, in seiner ersten und einzigen Film-Performance), und braust davon. Das wäre wohl der Moment, in dem einer der beiden Insassen seinem Adrenalinüberschuss Ausdruck verschaffen könnte mittels eines gezirkelten „Wuuuu-huus!“, hochgereckter Fäuste, oder was sich die Film- und Autoindustrie sonst so ausgedacht haben mag in Sachen unsubtiler Euphorie-Marker. Aber: nein. Die Gesichter beider Männer bleiben unbewegt, ernst allenfalls, und sie schweigen sich an. Spätesten hier sollte auch dem langsamsten Zuschauer zweierlei schwanen: Erstens – diese Männer machen das nicht zum Kick, sie tun es, weil ihnen sonst nichts übrig bleibt. Zweitens – this ain’t your ordinary road movie. Rennen um den McGuffin-Cup Für die Zuschauer, die sich lieber sanft aufs Glatteis führen lassen wollen, wird aber doch noch einmal der Genre-Baukasten aufgesperrt. An einer Raststätte begegnen Fahrer und Mechaniker stereotyp einem alles andere als stereotypen Mädchen (Laurie Bird spielt vor allem sich selbst, einen rätselhaften, sprunghaften, abgründigen Charakter). „The Girl“ gesellt sich aus einer Laune heraus zu ihnen und darf zwischenzeitlich als eine Art Romanze funktionieren. Um die Genre-Konstellation komplett zu machen, beschert ein Tankstellenstop dem Trio schliesslich noch die Begegnung mit einem Pontiac GTO und dem Zuschauer sein zweites grosses Aha-Erlebnis des Abends. Denn spätestens hier dürfte ihm bewusst werden, dass man es bei „Two-Lane Blacktop“ nicht nur mit einem ungewöhnlichen, sondern auch einem ungewöhnlich schönen Road Movie zu tun haben könnte: Gefahren wird der GTO nämlich von Warren Oates, und ihm dabei zuzusehen, wie er über seine Rolle hinauswächst, ist allein schon Grund, diesen Film zu mögen. Mindestens. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss, wenn sich derart viel geballte Männlichkeit und Motorenpower auf engem Raum versammeln: 55er Chevy fordert Pontiac GTO zu einem Rennen heraus, bei dem es ums Ganze gehen soll, und das heisst natürlich: Die Fahrzeugpapiere des jeweils anderen. Flugs noch einen Zielpunkt ausgemacht, möglichst am anderen Ende der Staaten, und fertig ist der lupenreine Autorenn/Rennauto-Filmplot. Der wird aber nur allzu bald im Vollgas hinter sich gelassen: McGuffin nannte Herr Hitchcock eine solche falsche Fährte einst, die als vermeintlicher Aufhänger letztlich nirgends hinführt, oder allenfalls noch: Geradewegs in die Irre. Der erfahrene Existenzialismus Denn kaum hatte Regisseur Monte Hellman zugesagt, das Drehbuch zu einem Film umzusetzen, der im Deutschen salopp-treffend „Asphaltrennen“ heisst, da machte er sich auch schon daran, dieses Drehbuch von Grund auf umzugestalten. Was von den Produzenten als launiger Race-Film für ein junges Publikum konzipiert war, wurde in den Händen Hellmans und seines Drehbuchschreibers Rudy Wurlitzer zu etwas gänzlich Anderem: Dem existentialistischsten aller Road Movies, 20 Jahre bevor Filme wie „Thelma&Louise“ erneut versuchten, die radikale und nicht immer angenehme Freiheit auf der Strasse erlebbar zu machen.

„Two-Lane Blacktop“ ähnelt in mancherlei Hinsicht dem 55er Chevy in seinem Zentrum: Da bleibt kein Platz für schmückendes Beiwerk; der Innenraum ist auf das absolut Wesentliche reduziert, doch unter einer Karosserie, die derart abgewetzt ist, dass sie die Coolness alter Tage nur noch erahnen lässt, rackert ein Getriebe, das die desolate Erscheinung Lügen straft. Auch in Hellmans Film ist der Glanz des Road Movies stumpf geworden, von ihm bleibt nicht viel mehr als ein Ideengerüst, mit dem neckisch umgegangen wird: Kameraeinstellungen, der Umgang mit dem Soundtrack, ja sogar die Fahrszenen sind immer ein wenig an den Genre-Konventionen vorbeiinszeniert. Der Kern des Films aber ist reduzierte, cinematische Hochleistung pur: Dialoge sind selten, aber nicht selten strotzend von staubtrockenem Humor („Where are you going?“ „West.“ „Cool, I’ve never been West.“); die Schauspielleistungen sind so minimalistisch wie präzise; und keine einzige Szene wird verschwendet, wenn sie meistens auch nur dazu da sind, die namenlosen Figuren plastischer zu gestalten und dabei vergessen, die Handlung voranzutreiben. Der Plot interessiert in „Two-Lane Blacktop“ aber ohnehin niemanden wirklich, es rollt halt einfach immer weiter voran mit der Existenz dieser Menschen, die von den eben noch kursierenden Hippie-Utopien auf maximalmögliche Distanz gegangen sind. Zur Freiheit, die sie sich auf der Strasse erfahren, sind sie verdammt – sie scheinen weniger unterwegs zu sein, weil sie es wollen, als vielmehr einfach darum, weil sie es können. Und manchmal wirken sie glücklich dabei. Wenn dann der Schluss gekommen ist – notabene einer der radikaleren und besseren der Filmgeschichte -, da vermutet man, dass es wohl irgendwie weiter gehen wird mit ihnen. Aber nicht für den Zuschauer, der bis dahin aber bereits genug gesehen haben dürfte; genug, um zu begreifen, dass er gerade eine der schöneren cinematischen Wiederentdeckungen der letzten Jahre machen durfte.

 

Dieser Text erschien ursprünglich auf nahaufnahmen.ch.

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